Bieler Tagblatt Artikel vom 13.09.2022 https://ajour.ch/story/dem-robinsonspielplatz-in-bielmett-droht-das-aus/27258
Die von der Stadt Biel geplanten Sparmassnahmen sorgen für erhitzte Gemüter. Für den Abenteuerspielplatz in Mett steht die Zukunft auf dem Spiel.
Freitagnachmittag um 16 Uhr. Blaise Munier steht in der Küchenecke des einstöckigen Baus, in dem sich eine laute Kinderschar befindet. Während es um ihn herum wild wuselt, bricht Munier Milchschokolade in Stücke und schneidet Brot in Scheiben. Als er einem Kind ein Zeichen gibt, ruft dieses: «Zvieri! Quatre heures!» Und die über 30 Kinder werden noch einmal richtig laut, bevor sie sich anstellen und geduldig warten, bis sie an der Reihe sind.
Ziegen, Hühner und Pfaue
Wir sind auf dem Robinsonspielplatz in Biel-Mett, direkt am Waldrand oberhalb der Stadt. Neben dem Spielplatzlokal stehen ein Dutzend Holzhütten kreuz und quer zwischen Bäumen. Einige von ihnen sind durch Brücken miteinander verbunden, an manchen führen Treppen hoch und Rutschbahnen runter. Weiter hinten sind die Ställe des Kleinviehs. Weil sich der Herbsthimmel verdunkelt, lässt Pascale Hodel die Ziegen, Hühner und Pfauen in ihre Stallungen eintreten, bevor es anfängt zu regnen.
Zusammen mit Munier leitet sie den Abenteuerspielplatz, der an drei Nachmittagen pro Woche geöffnet ist. Den Unterhalt der Tiere bezahlt Munier aus seiner eigenen Tasche und kümmert sich in der Freizeit um sie. Die Tiere seien wichtig für die Kinder, so Munier. «Damit sie nicht länger meinen, dass Eier aus Kartons kommen.» Ausserdem mähen die Ziegen den Rasen auf dem Spielplatz. Und viele Kinder könnten im Umgang mit Tieren besonders gut Stress abbauen.
Bereits am Limit
Munier und Hodel sind zu 50 Prozent angestellt. Er arbeitet seit 17 Jahren hier, sie seit 15 Jahren. Da an einigen Nachmittagen bis zu 60 Kinder auf den Spielplatz strömen, haben die beiden schon vor zehn Jahren bei der Stadt Biel einen Antrag gestellt, um einen dritten Animator anzustellen. Die Idee dahinter war auch, die Öffnungszeiten zu erweitern, um der grossen Nachfrage gerecht zu werden und um den Robinsonspielplatz wirtschaftlicher betreiben zu können. Doch die Stadt lehnte ab. Und jetzt soll das Budget im Rahmen von «Substance 2030» sogar um 21’000 Franken gekürzt werden – das ist rund ein Sechstel der Subventionen, das wegfallen würde.
«Wenn die Stadt uns das Geld wirklich kürzt, müssen wir schliessen», sagt Hodel. Da Hodel und Munier bereits jetzt kein Geld für Materialien ausgeben, weil sie Bau- und Bastelmaterialien aus den Abfällen von grösseren Bieler Betrieben beziehen, würden sich die Kürzungen auf die Personalkosten auswirken. Und da sei man finanziell bereits am Limit, so Munier. Das Unverständnis über die Sparmassnahmen ist bei allen Anwesenden gross. Einige der Kinder haben ein Transparent gemalt und eine Petition geschrieben. Im Petitionstext bezeichnen sie den Robinsonspielplatz als ihr zweites Zuhause und bitten die Bevölkerung um Unterstützung.
Dienst an der Bevölkerung
Munier sagt missmutig: «Mit dem ‹Robi› leisten wir einen Dienst an der Bevölkerung, und aus dem Grund soll die Stadt uns subventionieren!» Nächstes Jahr wird der Spielplatz 40 Jahre alt. Nachdem Mett in den 70er-Jahren zu einem dicht besiedelten Quartier wurde, brauchten die vielen Kinder einen Ort zum Spielen. Ein Verein wurde gegründet, die Stadt bot einen Platz an und zeigte sich bereit, den Spielplatz zu subventionieren. Der Robinsonspielplatz war geboren. Seither hat sich vieles verändert; das Bedürfnis nach dem Abenteuerspielplatz ist geblieben. Auf den Robinsonspielplatz kommen heute Kinder aus der ganzen Stadt.
«Seit der Pandemie hat sich die Handy- und Videospielsucht bei Kindern und Jugendlichen verstärkt», sagt Hodel. Doch hier bleibe das Smartphone in der Tasche. Nicht, weil es verboten ist, es zu benutzen. Die Kinder hätten schlicht mehr Interesse an den Aktivitäten, die der Robinsonspielplatz zu bieten hat, so Hodel. Eine Frau, die gerade die Petition unterzeichnet, ruft aufgebracht: «Die kommenden Generationen werden nur noch das Smartphone als Bezugsperson haben, wenn es den ‹Robi› nicht mehr gibt! Die Kinder brauchen diesen Ort!»
Druck an der Schule
Munier spricht noch ein anderes Phänomen an: «Viele Kinder leiden unter dem Druck in der Schule.» Er erwähnt einen Bericht von Pro Juventute, der die massive Zunahme von Beratungen zu Ängsten und Suizidgedanken von Jugendlichen thematisiert. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Studie Corabe, welche die Auswirkungen der Corona-Krise unter Jugendlichen untersucht (das BT berichtete). Gemäss der Studie steht der Leistungs- und Entscheidungsdruck auf Platz eins der Sorgen von Jugendlichen. Die Studienautoren geben Empfehlungen ab, wie Erwachsene die Heranwachsenden unterstützen können: Beispielsweise, indem sie Inseln der Freude und Treffpunkte schaffen oder ihnen helfen, Strategien im Umgang mit Stress zu finden. All dies bietet der Robinsonspielplatz.
Ein Vater aus Mett erzählt: «Mein Sohn hatte grosse Schwierigkeiten mit dem Alltag und den Regeln in der Schule. Wir wussten nicht mehr weiter.» Er habe bereits mit dem Gedanken gespielt, das Kind an eine Sonderschule zu schicken. Doch dann habe er den «Robi» entdeckt. «Seit mein Sohn hierherkommt, kommt er mit den Regeln in der Schule klar, denn er weiss, dass er sich nachher austoben darf.» Der Robinsonspielplatz sei ein fantastischer Ort, wo sein Sohn seiner Kreativität freien Lauf lassen könne.
Auch ein Vereinsmitglied äussert sich kritisch zu den Kürzungen. Sein Fazit: «Biel war vor 40 Jahren den anderen Städten weit voraus. Wenn die Stadt jetzt bei all den kulturellen und sozialen Einrichtungen so massiv kürzt, gerät sie um 30 Jahre ins Hintertreffen.»